Das Gebot der Feindesliebe steht in engem Zusammenhang mit dem Verzicht auf Vergeltung. Was bedeutet es, den Feind zu lieben? Man darf es sich mit dieser geradezu unerhörten Forderung nicht zu leicht machen. Der Feind ist nicht einfach ein unsympathischer Mensch oder einer, der dich nicht grüsst. Nein, ein Feind ist einer, der einem nach eigenem Besitz, vielleicht sogar nach dem Leben trachtet. Er benutzt seine Macht dazu, andere zu erniedrigen. Ihm soll sein Verhalten nicht nur verziehen werden (das wäre ja schon viel und mehr als genug oder nicht?!). Die Aufforderung, den Feind zu lieben, geht darüber noch weit hinaus. Es geht also nicht einfach um Racheverzicht, sondern um eine „paradoxe Intervention“. In der Feindesliebe geht es darum, den Feind mit der heilvollen Liebesordnung des Gottesreiches zu konfrontieren.
Wer spricht überhaupt dieses Gebot: „Liebet eure Feinde!“ Wer kommt auf eine so ‚absurde‘ Idee? So etwas kann nur jemand gebieten, der es selber tut – sonst ist er ein Heuchler. Jesus ist kein Heuchler. Seine Liebe zu den Menschen hat durchgehalten bis zu seinem letzten Atemzug, bis zum Tod am Kreuz. Er hat seine Liebe nie in Hass umgedreht. Selbst am Kreuz spricht er zu seinem himmlischen Vater: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Selbst am Kreuz – unschuldig verurteilt, erbarmungslos geschlagen, voller Schmerzen an Leib und Seele – bleibt er seiner Liebe treu! Mit Jesus ist das Reich Gottes auf die Erde gekommen und wächst jeden Tag, unsichtbar und sichtbar. Jedes Mal, wenn du einen Menschen ‚unverdient‘ liebst, wächst das Reich Gottes.
Zum Schluss noch ein Rätsel: Wie würde diese Welt aussehen, wenn die Feindesliebe unsere Tages- und Nachtordnung wäre?
Jesus Christus ist gekommen, damit aus diesem fragenden Konjunktiv ein antwortender Imperativ wird – eine sich erfüllende Bitte im ‚Vater unser‘: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“