Zärtlichkeit

Vaterunser. Das Wesen des Vaters im Himmel. Der Schweizer Theologe Hermann-Josef Venetz beschreibt das für mich eindrücklich und berührend:

«Ich habe mich schon oft gefragt: Ist der Gott Jesu ein so zärtlicher Gott, weil Jesus auch mit den Menschen so zärtlich umgeht, oder geht Jesus mit den Menschen so zärtlich um, weil er an einen zärtlichen Gott glaubt? Sicher ist, dass die Zärtlichkeit Jesu nichts Verniedlichendes und überhaupt nichts Kitschiges an sich hat. Im Gegenteil: Gerade bei ihm kann man lernen: Je glaubensfester, desto zärtlicher. Je reifer, desto zärtlicher. Je erwachsener, desto zärtlicher. Je verantwortungsbewusster, desto zärtlicher. Das vertraute, liebevolle Abba-Sagen (lieber Papi) verrät einen Lebensstil. Abba sagen zärtliche Menschen, d. h. reife, erwachsene, verantwortungsbewusste Menschen, gleichberechtigte Söhne und Töchter, die eben auch miteinander verantwortungsbewusst und gleichberechtigt – und zärtlich – umgehen. Die Anrede im Vaterunser ist wie eine Einladung zur Zärtlichkeit. Wenn wir uns vornehmen, mit den Augen des Vaterunsers die Schöpfung zu betrachten, bleibt uns nichts anderes übrig, als auch die Schöpfung in diese Zärtlichkeit mit einzubeziehen. Und umgekehrt: Wenn wir zärtlich sind mit der Schöpfung, werden wir auch eine Ahnung bekommen vom zärtlichen Gott. Legen wir doch unsere Ängste ab. Scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit den Blumen im Garten und mit den Regenwürmern und mit den Bäumen. Nur echte Zärtlichkeit wird uns auch zu glaubhaften politischen Entscheidungen führen. Scheuen wir uns auch nicht, zärtlich zu sein miteinander, wir helfen so einander zur echten Reife. Und scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit Gott, der unser Vater und unsere Mutter ist.»

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