Wohltat

Jesus offenbart das Wesen des Vaters im Himmel mit Umarmen und Segnen. ‚Jesus umarmte die Kinder und segnete sie, indem er ihnen die Hände auflegte.‘ So steht es im Markus-Evangelium. Damit zeigt er, zu welchem Vater wir im Vaterunser beten.

Die Umarmung (das griechische Wort betont: in die Arme schliessen) verdeutlicht, dass alles, was draussen und ausgeschlossen ist, in den Raum des Schutzes und der Wärme hineingeholt und darin umschlossen wird. Keine worthafte Rede kann die Geste hier ersetzen, weil sie auf ein Grundbedürfnis des Menschen antwortet, das vorsprachlich ist. Das Berührt werden. Das Umfangen werden. Das Wort ‘Segnen’ (griechisch: ein gutes Wort sagen) impliziert auch eine Wohltat. Die Handauflegung Jesu ist auch ohne Worte eine Wohltat. Unschwer können wir uns dies als Bild vor Augen halten und dabei beobachten, dass sich die ausgebreiteten Arme wie ein Dach schützend über das Kind breiten. So wird der Raum der Geborgenheit, der bereits durch die umschliessenden Arme geschaffen wird, vollends abgeschirmt gegen jedes Ungemach.

Das heisst Gott VATER nennen: in seinen geschützten Lebensraum eintreten dürfen und darin dankbar und glücklich sein. Wie oft ist dieses Erleben verschüttet und unglücklich-leidvoll verbaut. Nicht selten ist der Grund, dass der Vater für das Kind nicht da war, physisch oder psychisch fehlte, oder dass die ‘Liebe’ des Vaters das Kind erdrückte.

In der Zuwendung Jesu zu den Menschen wird unzweifelhaft klar, dass seine Väterlichkeit in erster Linie darauf abzielt, den Ausgeschlossenen wieder einen Platz in der grossen Familie Gottes zu geben. Dazu wird Jesus für manche Menschen bewusst zum Vater, die aus Angst, Scham und Ausgeschlossen sein sich nicht berechtigt fühlen, dazuzugehören.

Hoffnung

Gott ist liebende Freiheit. In den Worten und Taten von Jesus hat Gott uns zu verstehen gegeben, dass er ein Gott der Menschen sein will: ein Gott, der Raum für uns schafft und Zeit für uns hat. Ein Gott, der will, dass wir Leben haben und es in Fülle haben. Gott, der uns nicht braucht, um Gott zu werden und Gott zu sein, weil er in sich selbst ewig glücklicher Dialog ist (Vater, Sohn und Heiliger Geist). Dieser Gott hat sich selbst über sich selbst hinaus so an uns verschenkt, dass er – mit Charles Péguy gesprochen – unser ‘Gefangener’ geworden ist. Gott hat seine eigene Hoffnung in unsere sterblichen Hände gelegt.

Die sterblichen Menschenhände haben das Geschenk Gottes sterben lassen. Doch Gotteshände haben es zur Auferstehung gebracht. Das, was Gott schenkt, kann in Ewigkeit nicht sterben, weil es das Leben ist. Darum kann Jesus sagen: Ich bin das Leben. Ein Leben, das liebt, leidet, heilt, verspottet und umgebracht wird – und gerade am Tiefpunkt aufersteht zu neuem unvergänglichem Leben. Das ist unsere Hoffnung, die nicht stirbt. Es ist die Hoffnung, welche wir getrost in die ewigen, unsterblichen Hände Gottes legen dürfen.

Opfer

Das Gotteskonzept der Christenheit bedeutet einen radikalen Bruch mit den meisten antiken Religionen. Anstelle eines Gottes, der Menschen, Tiere oder Feldfrüchte ‘isst’, die auf dem Altar geopfert werden, stellte das Christentum die kühne Behauptung auf, dass wir mit Gottes eigenem Leib gespeist werden. Das hat alles auf den Kopf gestellt und die scheinbare Logik eines Denkens in Kategorien von Leistung und Gegenleistung ausgehebelt. Solange wir im Blick auf Gottes angeblich beleidigtes Gerechtigkeitsempfinden eine Art Vergeltungslogik ins Spiel bringen (Strafforderung für Fehlverhalten), tauschen wir unsere unverwechselbare christliche Botschaft für jenen kalten und herzlosen Justizvollzug ein, der im Laufe der Geschichte in den meisten Gesellschaften gang und gäbe war. Es ist an der Zeit, dass die Christenheit das tiefere biblische Thema einer stärkenden oder restaurativen Gerechtigkeit neu entdeckt, die auf Heilung und Versöhnung zielt und nicht auf Strafe.

Aus dem Buch von Richard Rohr, Alles trägt den einen Namen

Zärtlichkeit

Vaterunser. Das Wesen des Vaters im Himmel. Der Schweizer Theologe Hermann-Josef Venetz beschreibt das für mich eindrücklich und berührend:

«Ich habe mich schon oft gefragt: Ist der Gott Jesu ein so zärtlicher Gott, weil Jesus auch mit den Menschen so zärtlich umgeht, oder geht Jesus mit den Menschen so zärtlich um, weil er an einen zärtlichen Gott glaubt? Sicher ist, dass die Zärtlichkeit Jesu nichts Verniedlichendes und überhaupt nichts Kitschiges an sich hat. Im Gegenteil: Gerade bei ihm kann man lernen: Je glaubensfester, desto zärtlicher. Je reifer, desto zärtlicher. Je erwachsener, desto zärtlicher. Je verantwortungsbewusster, desto zärtlicher. Das vertraute, liebevolle Abba-Sagen (lieber Papi) verrät einen Lebensstil. Abba sagen zärtliche Menschen, d. h. reife, erwachsene, verantwortungsbewusste Menschen, gleichberechtigte Söhne und Töchter, die eben auch miteinander verantwortungsbewusst und gleichberechtigt – und zärtlich – umgehen. Die Anrede im Vaterunser ist wie eine Einladung zur Zärtlichkeit. Wenn wir uns vornehmen, mit den Augen des Vaterunsers die Schöpfung zu betrachten, bleibt uns nichts anderes übrig, als auch die Schöpfung in diese Zärtlichkeit mit einzubeziehen. Und umgekehrt: Wenn wir zärtlich sind mit der Schöpfung, werden wir auch eine Ahnung bekommen vom zärtlichen Gott. Legen wir doch unsere Ängste ab. Scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit den Blumen im Garten und mit den Regenwürmern und mit den Bäumen. Nur echte Zärtlichkeit wird uns auch zu glaubhaften politischen Entscheidungen führen. Scheuen wir uns auch nicht, zärtlich zu sein miteinander, wir helfen so einander zur echten Reife. Und scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit Gott, der unser Vater und unsere Mutter ist.»

Vaterunser

Das Vaterunser. Kein Gebet ist rund um den Erdball so bekannt wie das Vaterunser, das Hauptgebet der Christenheit. Auf die Frage seiner Freunde, wie sie beten sollen, antwortet Jesus mit dem Vaterunser.

Das Vaterunser beginnt mit einer Anrede. Eine Anrede sagt schon viel über aus über den Angesprochenen und sein Verhältnis zum Anredenden. Jesus wählt nicht das Wort ‘Herr’ … Herr unser. Er wählt nicht ein Herr-scherwort, sondern das Vater-Wort. Wir sollen ihn als Vater anreden, aber als einen ganz bestimmten Vater. Einer, der sich von allen irdischen Vätern und damaligen patriarchalen Vätern unterscheidet. Jesus hat sein Gebet nicht mit dem hebräisch-biblischen ‘abbinu’ (unser Vater) angefangen, welches mehr einen ehrfürchtigen, distanzierten Klang hat, sondern er hat das vertrauliche, aramäische Wort ‘abba’ gewählt. Das ist die vertraute Art, wie Kinder (auch erwachsene Kinder) ihren Papa/Papi daheim über den Tisch angesprochen haben. Das ist für die Jünger Jesu eine neue Gotteserfahrung gewesen und soll sie auch für uns sein. Gott als einer, der sein Kind auf den Armen trägt, ihm zuhört, mit ihm spielt und lacht. Wie ein Vater oder eine Mutter, welche ihre Kinder kraulen – eine vertraute, intime, zärtliche Nähe. Und so wie wir getragen werden, sollen wir andere Menschen tragen, ihnen auf vertraute, zärtliche Art und Weise nahe sein.

Die leise Stimme Gottes

Henri Nouwen, Theologe und Priester im 20. Jahrhundert, hat in seinem Buch ‘Du bist der geliebte Mensch’ die Stimme Gottes aus den biblischen Erzählungen in einen ‘Liebesbrief Gottes’ zusammengefasst.

‘Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, von allem Anfang an. Du bist mein und ich bin dein. Du bist meine geliebte Tochter, du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Wohlgefallen. Ich habe dich in den Tiefen der Erde geformt und dich im Schoss deiner Mutter gewoben. Ich habe dich in meine Hand gezeichnet, habe ich dich im Schatten meiner Flügel geborgen. Ich blicke auf dich mit unendlicher Zärtlichkeit und sorge mich um dich mit einer Sorge, die noch viel tiefer geht als die Sorge der Eltern um ihr Kind. Ich habe jedes Haar deines Hauptes gezählt und jeden deiner Schritte geleitet. Wo immer du hingehst, gehe ich mit dir, und wo immer du ruhst, wache ich über dich. Ich will dir Nahrung geben, die all deinen Hunger sättigen und einen Trank, der all deinen Durst stillen wird. Ich bin dein Vater, deine Mutter, dein Bruder, deine Schwester, dein immer Nächster. Wo du sein wirst, werde ich auch sein. Nichts wird uns jemals trennen. Wir sind für einander, wir sind eins.’

Ein tiefstes Ja

Die Schöpfung hat jemand in einer Menschengestalt symbolisiert. In Maria, der Mutter Gottes, in einer wunderschönen, weiblichen, farbenfrohen und zugewandten Maria. Sie bietet uns fortwährend ihren Sohn Jesus dar, den in Verwundbarkeit und Nacktheit inkarnierten Gott. Weibliche Empfänglichkeit, die die Frucht ihres Ja weiterreicht. Und uns einlädt, unsererseits Ja zu sagen. Ja zu sagen, zu unserer Menschwerdung, zu unserer Menschlichkeit, zu unserem verwundeten, nackten Selbst, das Jesus selbst in sich trägt.   

Segnen

Jemanden segnen, bedeutet, dieser Person in höchstmöglicher Form Bestätigung schenken, zum Geliebtsein dieses Menschen ja sagen und es bekräftigen, wachrufen: ‘Was immer sein wird und du sein wirst, du bist geliebt.’ Die Segenswünsche, die wir einander zusprechen, sind ein Widerhall des Segens, der von aller Ewigkeit auf uns ruht. Er ist die tiefste Bejahung unseres wahren Selbst. Der wiederholende Segen sagt uns immer wieder ausdrücklich die Wahrheit, dass wir einem liebenden Gott zugehören, der uns nie alleinlassen, sondern uns immer wieder daran erinnern wird, dass wir bei jedem Schritt unseres Lebens von der Liebe geleitet werden.

Gefühle

Ein Gefühl ist wie ein Kind, das in uns lebt und weint und lacht, Hunger hat und bemerkt sein will. Wer zu seinem Gefühl zu oft sagt: ,Sei still, ich habe jetzt keine Zeit für dich’ – dessen inneres Kind sitzt eines Tages in einer vergessenen Ecke und trauert, wird krank und verkümmert. Mit Gefühlen soll man umgehen wie mit einem Kind. Man sieht ihm freundlich und aufmerksam zu. Man hört, was es klagt, man leidet mit ihm, wenn es leidet. Denn Gefühle sind die lebendigsten Kräfte in uns. Keine andere Kraft in uns bringt so Lebendiges hervor. (Jörg Zink)

Wo genau ist der Himmel?

Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir; suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für. Angelus Silesius

Ein bewusstes Innehalten ist der erste Schritt, der es ermöglicht, aus einem beständigen Beschäftigt-Sein herauszutreten und sich von einer anderen Wirklichkeit berühren zu lassen. Silesius möchte mit seiner Frage: „Halt an, wo läufst du hin?“, den Menschen in seiner tieferen Sehnsucht berühren. Seine Frage könnte auch lauten: „Halt an, worum bemühst du dich in deinem Leben? Um was geht es dir? Was suchst du eigentlich zutiefst?“ Wo genau ist der Himmel? Silesius sagt auch gleich, wo dieser zu finden ist: „Der Himmel ist in dir.“

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