Was ist Meditation? Ein Weg nach innen. In der Stille da sein. Sich lauschend öffnen. Horchen im Hier und Jetzt. Achtsam sein auf das Unaufdringliche, auf das Leise, Unmerkliche. Den innersten Raum leeren, damit Gott ihn füllen kann. Die christliche Meditation ist ein Beziehungsgeschehen. Die Begegnung mit dir und deinem dich-liebenden Gott. Im Zentrum steht das Wahrnehmen (von allem, was sich zeigt) und das Ausrichten auf mein Gegenüber, das immer da ist. Die Hingabe an ein Du führt zum wahren Wesenskern. Darin liegt das Geheimnis von dem Martin Buber sagt: «Ich werde am Du, Ich werdend spreche ich Du.» Die bedingungslose Liebe Gottes ermöglicht mir zu sein, wie ich bin. Und in diesem Sein kann ich atmen, tief ein- und ausatmen und ‘werden, der ich bin.‘
Vergebung
Petrus trat zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er an mir schuldig wird? Bis sieben Mal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht bis sieben Mal, sondern bis zu 70 mal 7.
Die Vergebung ist etwas, was gar nicht einfach ist. Das merkt auch der Apostel Petrus. Darum fragt er Jesus, wie oft er vergeben muss. Alles, was man ‘muss’, geht nicht leicht von der Hand. Schon ‘nur’ einmal vergeben, kann eine grosse Hürde sein, ein zähes Ringen, ein langer Prozess. Eigentlich ist Petrus schon sehr grosszügig unterwegs, wenn er von sieben Mal vergeben spricht. Sieben Mal vergeben … der gleichen Person, vielleicht sogar, wenn es immer um die gleiche Sache geht. Ja, da ist sieben Mal schon viel. Petrus hat ein Herz zum Vergeben, aber er ist auch ehrlich und steht vor Jesus zu seinen Grenzen. Wir kennen das vielleicht auch von uns, wenn wir irgendeinmal innerlich oder äusserlich sagen: Jetzt ist aber genug!
Wie antwortet Jesus auf die Frage: Wie oft vergeben? Jesus genügt sieben Mal nicht. Er gibt als Antwort eine Zahl, die bedeutend höher ist als die 7, nämlich 70 mal 7. Mathematisch korrekt gäbe das 490 mal. 490 mal seinem Bruder, seiner Schwester vergeben. Natürlich geht es bei der Antwort von Jesus nicht um eine Rechenaufgabe, wie oft man vergeben soll. 490 mal und dann ist Schluss. Nein, mit dieser Antwort 70 mal 7 will er Petrus und uns die Unendlichkeit der Vergebung vor Augen führen. Es gibt keine Begrenzung in der Zahl und in der Menge der Schuld, wenn es um Vergebung geht. Die Vergebung ist radikal. Die Vergebung ist kompromisslos. Die Vergebung ist ein Lebensstil, mir und anderen gegenüber.
Darum nimmt Jesus diese Vergebung, die ihm so am Herzen liegt, auch in das Vater-unser-Gebet hinein. So sollen wir zu unserem Vater im Himmel beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Vergib uns unsere Schuld (hier steht keine Zahl, es spielt keine Rolle, wie gross unsere Schuld ist, es wird auch nicht unterschieden zwischen kleiner und grosser Schuld). Und Jesus lehrt uns in diesem Gebet, dass wir es genauso machen sollen wie er … wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Auch hier steht keine Zahl. Nach oben offen. Vergebung ist nach oben unbegrenzt.
Wohltat
Jesus offenbart das Wesen des Vaters im Himmel mit Umarmen und Segnen. ‚Jesus umarmte die Kinder und segnete sie, indem er ihnen die Hände auflegte.‘ So steht es im Markus-Evangelium. Damit zeigt er, zu welchem Vater wir im Vaterunser beten.
Die Umarmung (das griechische Wort betont: in die Arme schliessen) verdeutlicht, dass alles, was draussen und ausgeschlossen ist, in den Raum des Schutzes und der Wärme hineingeholt und darin umschlossen wird. Keine worthafte Rede kann die Geste hier ersetzen, weil sie auf ein Grundbedürfnis des Menschen antwortet, das vorsprachlich ist. Das Berührt werden. Das Umfangen werden. Das Wort ‘Segnen’ (griechisch: ein gutes Wort sagen) impliziert auch eine Wohltat. Die Handauflegung Jesu ist auch ohne Worte eine Wohltat. Unschwer können wir uns dies als Bild vor Augen halten und dabei beobachten, dass sich die ausgebreiteten Arme wie ein Dach schützend über das Kind breiten. So wird der Raum der Geborgenheit, der bereits durch die umschliessenden Arme geschaffen wird, vollends abgeschirmt gegen jedes Ungemach.
Das heisst Gott VATER nennen: in seinen geschützten Lebensraum eintreten dürfen und darin dankbar und glücklich sein. Wie oft ist dieses Erleben verschüttet und unglücklich-leidvoll verbaut. Nicht selten ist der Grund, dass der Vater für das Kind nicht da war, physisch oder psychisch fehlte, oder dass die ‘Liebe’ des Vaters das Kind erdrückte.
In der Zuwendung Jesu zu den Menschen wird unzweifelhaft klar, dass seine Väterlichkeit in erster Linie darauf abzielt, den Ausgeschlossenen wieder einen Platz in der grossen Familie Gottes zu geben. Dazu wird Jesus für manche Menschen bewusst zum Vater, die aus Angst, Scham und Ausgeschlossen sein sich nicht berechtigt fühlen, dazuzugehören.
Hoffnung
Gott ist liebende Freiheit. In den Worten und Taten von Jesus hat Gott uns zu verstehen gegeben, dass er ein Gott der Menschen sein will: ein Gott, der Raum für uns schafft und Zeit für uns hat. Ein Gott, der will, dass wir Leben haben und es in Fülle haben. Gott, der uns nicht braucht, um Gott zu werden und Gott zu sein, weil er in sich selbst ewig glücklicher Dialog ist (Vater, Sohn und Heiliger Geist). Dieser Gott hat sich selbst über sich selbst hinaus so an uns verschenkt, dass er – mit Charles Péguy gesprochen – unser ‘Gefangener’ geworden ist. Gott hat seine eigene Hoffnung in unsere sterblichen Hände gelegt.
Die sterblichen Menschenhände haben das Geschenk Gottes sterben lassen. Doch Gotteshände haben es zur Auferstehung gebracht. Das, was Gott schenkt, kann in Ewigkeit nicht sterben, weil es das Leben ist. Darum kann Jesus sagen: Ich bin das Leben. Ein Leben, das liebt, leidet, heilt, verspottet und umgebracht wird – und gerade am Tiefpunkt aufersteht zu neuem unvergänglichem Leben. Das ist unsere Hoffnung, die nicht stirbt. Es ist die Hoffnung, welche wir getrost in die ewigen, unsterblichen Hände Gottes legen dürfen.
Opfer
Das Gotteskonzept der Christenheit bedeutet einen radikalen Bruch mit den meisten antiken Religionen. Anstelle eines Gottes, der Menschen, Tiere oder Feldfrüchte ‘isst’, die auf dem Altar geopfert werden, stellte das Christentum die kühne Behauptung auf, dass wir mit Gottes eigenem Leib gespeist werden. Das hat alles auf den Kopf gestellt und die scheinbare Logik eines Denkens in Kategorien von Leistung und Gegenleistung ausgehebelt. Solange wir im Blick auf Gottes angeblich beleidigtes Gerechtigkeitsempfinden eine Art Vergeltungslogik ins Spiel bringen (Strafforderung für Fehlverhalten), tauschen wir unsere unverwechselbare christliche Botschaft für jenen kalten und herzlosen Justizvollzug ein, der im Laufe der Geschichte in den meisten Gesellschaften gang und gäbe war. Es ist an der Zeit, dass die Christenheit das tiefere biblische Thema einer stärkenden oder restaurativen Gerechtigkeit neu entdeckt, die auf Heilung und Versöhnung zielt und nicht auf Strafe.
Aus dem Buch von Richard Rohr, Alles trägt den einen Namen
Zärtlichkeit
Vaterunser. Das Wesen des Vaters im Himmel. Der Schweizer Theologe Hermann-Josef Venetz beschreibt das für mich eindrücklich und berührend:
«Ich habe mich schon oft gefragt: Ist der Gott Jesu ein so zärtlicher Gott, weil Jesus auch mit den Menschen so zärtlich umgeht, oder geht Jesus mit den Menschen so zärtlich um, weil er an einen zärtlichen Gott glaubt? Sicher ist, dass die Zärtlichkeit Jesu nichts Verniedlichendes und überhaupt nichts Kitschiges an sich hat. Im Gegenteil: Gerade bei ihm kann man lernen: Je glaubensfester, desto zärtlicher. Je reifer, desto zärtlicher. Je erwachsener, desto zärtlicher. Je verantwortungsbewusster, desto zärtlicher. Das vertraute, liebevolle Abba-Sagen (lieber Papi) verrät einen Lebensstil. Abba sagen zärtliche Menschen, d. h. reife, erwachsene, verantwortungsbewusste Menschen, gleichberechtigte Söhne und Töchter, die eben auch miteinander verantwortungsbewusst und gleichberechtigt – und zärtlich – umgehen. Die Anrede im Vaterunser ist wie eine Einladung zur Zärtlichkeit. Wenn wir uns vornehmen, mit den Augen des Vaterunsers die Schöpfung zu betrachten, bleibt uns nichts anderes übrig, als auch die Schöpfung in diese Zärtlichkeit mit einzubeziehen. Und umgekehrt: Wenn wir zärtlich sind mit der Schöpfung, werden wir auch eine Ahnung bekommen vom zärtlichen Gott. Legen wir doch unsere Ängste ab. Scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit den Blumen im Garten und mit den Regenwürmern und mit den Bäumen. Nur echte Zärtlichkeit wird uns auch zu glaubhaften politischen Entscheidungen führen. Scheuen wir uns auch nicht, zärtlich zu sein miteinander, wir helfen so einander zur echten Reife. Und scheuen wir uns nicht, zärtlich zu sein mit Gott, der unser Vater und unsere Mutter ist.»
Vaterunser
Das Vaterunser. Kein Gebet ist rund um den Erdball so bekannt wie das Vaterunser, das Hauptgebet der Christenheit. Auf die Frage seiner Freunde, wie sie beten sollen, antwortet Jesus mit dem Vaterunser.
Das Vaterunser beginnt mit einer Anrede. Eine Anrede sagt schon viel über aus über den Angesprochenen und sein Verhältnis zum Anredenden. Jesus wählt nicht das Wort ‘Herr’ … Herr unser. Er wählt nicht ein Herr-scherwort, sondern das Vater-Wort. Wir sollen ihn als Vater anreden, aber als einen ganz bestimmten Vater. Einer, der sich von allen irdischen Vätern und damaligen patriarchalen Vätern unterscheidet. Jesus hat sein Gebet nicht mit dem hebräisch-biblischen ‘abbinu’ (unser Vater) angefangen, welches mehr einen ehrfürchtigen, distanzierten Klang hat, sondern er hat das vertrauliche, aramäische Wort ‘abba’ gewählt. Das ist die vertraute Art, wie Kinder (auch erwachsene Kinder) ihren Papa/Papi daheim über den Tisch angesprochen haben. Das ist für die Jünger Jesu eine neue Gotteserfahrung gewesen und soll sie auch für uns sein. Gott als einer, der sein Kind auf den Armen trägt, ihm zuhört, mit ihm spielt und lacht. Wie ein Vater oder eine Mutter, welche ihre Kinder kraulen – eine vertraute, intime, zärtliche Nähe. Und so wie wir getragen werden, sollen wir andere Menschen tragen, ihnen auf vertraute, zärtliche Art und Weise nahe sein.
Die leise Stimme Gottes
Henri Nouwen, Theologe und Priester im 20. Jahrhundert, hat in seinem Buch ‘Du bist der geliebte Mensch’ die Stimme Gottes aus den biblischen Erzählungen in einen ‘Liebesbrief Gottes’ zusammengefasst.
‘Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, von allem Anfang an. Du bist mein und ich bin dein. Du bist meine geliebte Tochter, du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Wohlgefallen. Ich habe dich in den Tiefen der Erde geformt und dich im Schoss deiner Mutter gewoben. Ich habe dich in meine Hand gezeichnet, habe ich dich im Schatten meiner Flügel geborgen. Ich blicke auf dich mit unendlicher Zärtlichkeit und sorge mich um dich mit einer Sorge, die noch viel tiefer geht als die Sorge der Eltern um ihr Kind. Ich habe jedes Haar deines Hauptes gezählt und jeden deiner Schritte geleitet. Wo immer du hingehst, gehe ich mit dir, und wo immer du ruhst, wache ich über dich. Ich will dir Nahrung geben, die all deinen Hunger sättigen und einen Trank, der all deinen Durst stillen wird. Ich bin dein Vater, deine Mutter, dein Bruder, deine Schwester, dein immer Nächster. Wo du sein wirst, werde ich auch sein. Nichts wird uns jemals trennen. Wir sind für einander, wir sind eins.’
Ein tiefstes Ja
Die Schöpfung hat jemand in einer Menschengestalt symbolisiert. In Maria, der Mutter Gottes, in einer wunderschönen, weiblichen, farbenfrohen und zugewandten Maria. Sie bietet uns fortwährend ihren Sohn Jesus dar, den in Verwundbarkeit und Nacktheit inkarnierten Gott. Weibliche Empfänglichkeit, die die Frucht ihres Ja weiterreicht. Und uns einlädt, unsererseits Ja zu sagen. Ja zu sagen, zu unserer Menschwerdung, zu unserer Menschlichkeit, zu unserem verwundeten, nackten Selbst, das Jesus selbst in sich trägt.
Segnen
Jemanden segnen, bedeutet, dieser Person in höchstmöglicher Form Bestätigung schenken, zum Geliebtsein dieses Menschen ja sagen und es bekräftigen, wachrufen: ‘Was immer sein wird und du sein wirst, du bist geliebt.’ Die Segenswünsche, die wir einander zusprechen, sind ein Widerhall des Segens, der von aller Ewigkeit auf uns ruht. Er ist die tiefste Bejahung unseres wahren Selbst. Der wiederholende Segen sagt uns immer wieder ausdrücklich die Wahrheit, dass wir einem liebenden Gott zugehören, der uns nie alleinlassen, sondern uns immer wieder daran erinnern wird, dass wir bei jedem Schritt unseres Lebens von der Liebe geleitet werden.